S, 2 SWS (Di 16 - 18), LG 4, D02
Michael Giesecke
Wenngleich sich gegenwärtig die Aufmerksamkeit der Kommunikationswissenschaften eher auf die technischen Medien konzentriert, so findet man dennoch keine menschliche Kultur, die sich nicht massiv auf leibliche Kommunikationsmedien stützen würde. In der Kommunikationsforschung wird der Einsatz des Körpers eher als Gegensatz zur sprachlichen Kommunikation empfunden und deshalb als nonverbale Kommunikation behandelt – was in vielerlei Hinsichten (z.B. Verwechslung von Kode und Medium) problematisch ist.
Die Frage, ob es auch im Hinblick auf die nonverbale Kommunikation eine Evolution gegeben hat oder ob sich der Wandel nur als Technisierung und Versprachlichung vollzieht, wird kaum diskutiert. Sicher ist allerdings, daß sich in der Kulturgeschichte die Bedeutung ändert, die den leiblichen Kommunikationsmedien einerseits und den technischen andererseits zugeschrieben werden.
Das Seminar beschäftigt sich zum einen mit verschiedenen wissenschaftlichen Strömungen, die Beiträge zum Verständnis der Funktion und Geschichte des leiblichen Verhaltens als Kommunikationsmedien geleistet haben: Anthropologie, Ethnologie, Verhaltenswissenschaften, Psychologie, Semiotik. Zweitens sollen empirische Studien zur Beschreibung elementarer Kommunikationssituationen durchgeführt werden, in denen leibliches Verhalten die Hauptlast für den kommunikativen Erfolg trägt.
Leistungsanforderungen
Vorbereitung eines Themas für die Seminardiskussion in Form von Thesen, Anschauungsmaterial, Kurzreferat. Empirische Untersuchung mit Auswertung oder ausführliche und quellenkritische Hausarbeit.
Themenvorschläge
1. Kommunikation als Körperecho Spezialfall
Pacing-Leading NLP
Morris 128
Empirische Untersuchung
vgl. Skript
2. Der Blick als Wahrnehmung und Handlung
Historische Wahrnehmungstheorie und die aktuellen Ergebnisse der Nonverbal-Forschung, Neurophysiologie ...
Lit.: Argyle 217 ff.; Argyle/Ingham: Gaze, mutual gaze, and distance. In: SemioticaI, 1972, S. 32-49; Morris 25, 110 ff.
3. Gesten – Handbewegungen als optisches Signalisieren
Mit Aufarbeitung historischer Forschungsnahsätze (W. Wundt, Völkerpsychologie, Bd. 1: Die Gebärdensprache; Bühler, Karl: Ausdruckspsychologie)
Ekman
ev. auch ‘Tanz’ als Beispiel
4. Zusammenwirken der Medien in der face-to-face Kommunikation
Argyle: Interaktionsfolgen, die verbale und nonverbale Handlungen umfassen. 161
Lit.: Birdwhistell: Kinesics, Redundanz in multichannel communications
Giesecke: Instruktion
5. Raum als Kommunikationsmedium
Territorialverhalten (E. T. Hall)
Substitution menschlichen Verhaltens durch Gegenstände und räumliche Arrangements
Exkurs zu Ameisen und kommunikativen Medien/Spuren
Lit.:
E. T. Hall; Fast, S. 21-63
Weitere Themen:
- Nonverbale Kommunikation der Geschichte, Wandel des Verhältnisses zwischen den verschiedenen leiblichen Medien, den technischen und natürlichen.
- McLuhan und Huizinga (Argyle 349)
- Giesecke: Prämierung und Hierarchisierung der Medien und Sinn in der Kulturgeschichte (Entdeckung, S. 307 ff.)
- Nonverbale Kommunikation bei Tieren
entweder Konzentration auf ein Medium, z.B. Düfte oder auf eine Tierart oder als Überblick über die Ethologie/Eibl-Eiblsfeld - Kulturelle Unterschiede und Gleichförmigkeiten in der Körpersprache
Als Basisliteratur:
Skript ‘Nonverbale Kommunikation’
Argyle, Michael: Körpersprache & Kommunikation : das Handbuch zur nonverbalen Kommunikation. Paderborn 2005
Morris, Desmond: Der Mensch, mit dem wir leben. Ein Handbuch unseres Verhaltens. München 1981. (Zuerst Lausanne/London 1977)
Eibl-Eibesfeldt, Irenäus: Die Biologie des menschlichen Verhaltens. Grundriß der Humanethologie. München 1993 (zuerst 1984).
Ein Skript steht unter http://www.michael-giesecke.de/giesecke/dokumente/249/nonverbal2008.pdf meiner Publikationsdatenbank im Netz. Vgl. auch das Excerpt zu D. Morris in DB "Methoden": http://www.uni-erfurt.de/kommunikationswissenschaft/matrix/doc/me/dokumente/08_ergebnisse/08_exc_desmond_morris_der_mensch_mit_dem_wir_leben.htm.